Glaube Liebe Hoffnung

von Thomas Platt

Sie solle doch einfach sagen, was sie essen wolle, dann zöge er etwas Passendes dazu an. Diesen geistvollen Satz durfte im Jahr 1938 Cary Grant zu seiner Filmpartnerin Katherine Hepburn sagen.

Würden die Drehbuchautoren von „Leoparden küsst man nicht“ Gudula Roch und die Werke ihrer Kunstschmiede gekannt haben, dann hätte die Hepburn womöglich antworten dürfen, sie wähle die Speisen stets als Ergänzung ihres Schmucks aus. So einer Replik (das Komödiengeschehen einmal beiseite und auch der Umstand, dass moderne Speisen gerne einmal so angerichtet werden, als handele es sich um Broschen) würde ein ganz anderes Verhältnis nicht nur zum Genuss zu Grunde liegen, sondern vor allem auch zur Ästhetik. Was heißt: würde? Es hat sich ja längst materialisiert, ist zum Gegenstand geworden, zu vielen einzelnen Stücken – zu besichtigen bei „Reinmetall“ in der Düsseldorfer Roßstraße, dessen Schaufenster eine scharfe Ecke bilden zur Seydlitzstraße.

Der Weg dahin ist für die Kunden einfach. Sie brauchen nur auf dem Stadtplan nachzuschauen und dann loszugehen. Für Gudula Roch war er das nicht. Was ihr einst vorschwebte, als sie Anfang der Achtziger die Schule verließ, dafür gibt es keinen Plan und eigentlich auch keinen Anfang, schon gar keinen Stichtag, den man klar benennen könnte. Denn ein Gutteil dessen, was ihre Arbeiten heute

so unwiderstehlich werden läßt, erwarb sich die Architektentochter aus Iserlohn quasi im Nebenher. Schon in Kindertagen schaute sie am liebsten mit penetranter Neugier und unermüdlicher Genauigkeit nach dem, was rundherum geschah. Als ob sie sich im Theater befinde oder im Kino und nicht im Leben. Ihre Arbeiten teilen heute noch Ahnungen von Details mit, ohne dass man sie genau benennen könnte, wollte oder müßte. Sie stammen aus dem Spiel- und Schulzimmer genauso wie aus dem Reich der Buchstaben und Wörter (sie kehren zum Beispiel wieder auf massiven Ringen, die von Schrifttypen von John Langdon durchbrochen sind).

Die Formen der Natur, organische wie mineralische, spiegeln sich immer wieder in Details, am greifbarsten wohl in ihren silbernen Knochen, von denen einer sozusagen als Hommage an die Surrealisten unversehens in einen Schraubenschlüssel übergeht. Insgesamt aber fasziniert eine Zusammenschau des Panoramischen mit dem Feinteiligen. Ebenso kommt das Spielerische und scheinbar Unwillkürliche zum Zuge. Ein echtes Roch-Objekt hat immer auch etwas von einem Equilibrium der Gegensätze.

Der Erwerb des klassischen Meisterstatus‘ und das Schmuckdesign-Studium an der Fachhochschule Düsseldorf haben ihrer Inspiration nichts anhaben können. Ihre Passion für das Bogenschießen hat sie um ein wesentliches Element bereichert: das Gefühl für den richtigen Moment. In diesen Zusammenhang gehört ebenfalls ihr Faible für den Norden, der „The Idea of the North“ des Pianisten Glenn Gould verwandt ist.

Diese Haltung führt letztlich zu ganz einfachen Fragen: Wann ist ein Schmuckstück das, was es vorstellen soll? Wann ist es fertig? Darauf weiß Gudula Roch inzwischen eine Antwort.

Diese frühe Zeugenschaft im Parkett des Lebens (noch dazu ohne Eintrittsgeld) bewahrt die gelernte Goldschmiedin bis auf den heutigen Tag davor, eine Dienerin des Zeitgeists zu werden. Paradoxerweise. Vielleicht ist Gudula Roch deshalb gegenwärtiger als manch anderer Produzent, der zum Look der Zeit beiträgt. Manchmal will es scheinen, als ob sie einen Blick für das Kommende besäße. Zum Beispiel, wenn sie bei der Gestaltung ihrer Formen immer stärker berücksichtigt, das Schmuck im Grunde zu den wandernden Kleinskulpturen gehört, die an die Bewegungen des Körpers und insbesondere an die Gestik gebunden sind. Schönheit in Bewegung – Anmut also – ist ihr ein sehr persönliches Anliegen.

So individuell ihre Unikate und Kleinserien wirken, so allgemein und über den unmittelbaren Anlaß hinaus sind sie gültig. Die Wahrnehmung von Mode, wie sie Gudula Roch gegeben ist, und ihrer gerade auch unscheinbaren, zweitrangigen oder übersehenen Accessoires erfordert einen speziellen Blick, dem zunächst etwas Unpersönliches, ja fast Interesseloses anzuhaften scheint. Obwohl zum Beispiel Kleidung zunächst sehr persönlich auftritt und manchmal den Eindruck erweckt, als sei

sie eigens für den Träger wenn nicht geschaffen, so doch zusammengestellt worden, signalisiert sie doch immer auch eine Zugehörigkeit, eine Abhängigkeit von anderen, eine Verbeugung vor der Gewohnheit. Wie im Fall der Herrenmode klar zu sehen reicht diese Kodifizierung bis zur Massenmobilisierung. Anders wäre der Herrenanzug wohl kaum zu verstehen. Schmuck dagegen wirkt wie eine Auflehnung gegen das Uniforme. Schmuck betont nicht allein den Anblick einer Persönlichkeit, sondern vielleicht noch mehr ihren Ausdruck. Schmuck unterstreicht den Wert des Individuums und rangiert in einer Perspektive, die über Saison und Kollektion hinaus reicht. Und Schmuck begnügt sich mit vergleichsweise wenig Raum. Schmuck fokussiert. Schmuck erzählt Anekdoten. Vorausgesetzt natürlich, er ist von einer artifiziell begabten Hand gefertigt. Am besten von Gudula Roch.

Gudula Rochs Schöpfungen kommen von der Graphik her, von der Kontur, der Linie. Das hat einerseits mit der Materialfärbung zu tun – Silber, Gold und farbige, teilweise transparente Steine, die selten wirklich bunt oder gar grell sind oder flächig –, andererseits aber auch überhaupt mit einem künstlerischen Zugang. Trotz Figürlichkeit ist er im Zweifel abstrakt – allerdings nicht in dem Sinne, dass Konkretes in irgend einer Form verallgemeinert würde und darüber seiner Form verlustig ginge, sondern im Sinne von reinen Beziehungen, die graphische Elemente und Bauformen miteinander unterhalten. Allenfalls ließe sich von Stilisierungen sprechen, zum Beispiel bei den Totenköpfen oder Abgüssen wie die winzige Maschinenpistole aus dem Überraschungsei, Götterspeisenringe oder ähnlichen Figurinchen von gestern und vorgestern, die in einem Regal in der Roßstraße angetreten sind wie zu einem Appell. Wie eine aus immer neuen Anfängen zusammen gestreute Mischung kommt einem das Werk vor, wenn man so manches Object trouvé erkennt, das in Silber gegossen plötzlich von einer Kette baumelt, oder die Symbole des Christentums, die Gudula Roch auf gänzlich unorthodoxe Art geprägt haben, in neuen Zusammenhängen auftaucht. Von dort ist es nicht wirklich weit zu der Bedeutung, die ethnischer Kunst, Vodoo und schließlich Pop in ihrem Werk erhalten. Langsam sich vorwärts tastend mit Werkzeugen und den Augen, die ihnen voraus gehen und ihnen folgen – man kann dabei überhaupt nicht sagen, ob es da ein gestalterischer Griff auf dem andern aufbaut oder ob das Geschehen vorwärts rückt von Korrektur zu Korrektur – findet die in Iserlohn aufgewachsene Feinschmiede Künstlerin schließlich zum vollen Zusammenklang von Materialien und Form. Die schier unendliche Geduld, die dafür erforderlich ist, verschwindet mit der letzten Politur und macht einer unbekümmerten, heiteren Nonchalance Platz, die typisch ist für die Architektentochter.

Wenn es etwas Magisches geben sollte in den Werken dieser Autorin unter den Schmuckdesignerin, dann womöglich dies: Als wollten das Geschmeide, die Broschen, Colliers, Devotionalien, Ketten, Minimosaike, Ringe, Spangen und Schnallen all jene Kräfte, die während der Zubereitung auf sie eingewirkt haben, vollständig auf ihren Besitzer übertragen, ohne ihm Mühe zu machen. Die bleibt allein auf Seiten von Gudula Roch und ihrer Handwerkskunst.

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